Interprovinzielle Handelskammern

Expertenvortrag

Expertenvortrag

Die „Anhui Zhejiang Chamber of Commerce“ hat am 18.12.2005 die zweite Mitgliederversammlung ihrer Geschichte abgehalten. Eine Satzungsänderung wurde einstimmig verabschiedet und das Präsidium für die nächsten fünf Jahre wiedergewählt. Gastredner Helmut Schönleber hielt eine Präsentation über Industrie- und Handelskammern in Europa und Amerika.

Mitgliederversammlung

Mitgliederversammlung

Die interprovinzielle Kammer repräsentiert Unternehmer aus der Provinz Zhejiang, die in Anhui eigene Firmen aufgebaut haben. Die Anzahl ähnlicher interregionaler Handelskammern ist in jüngster Zeit im ganzen Land stark gestiegen. Ähnlich wie die Branchenkammern werden sie ausschliesslich von Unternehmern getragen und nicht von Beamten geführt.

© Fotos: Han Xiaohong

Anhui Automotive Chamber in Europa

Auf Einladung der SEQUA, der International Chamber of Commerce (ICC) und von Eurochambres hat eine aus Kammerführungskräften und Unternehmern der Automobilbranche in Anhui zusammengesetzte Delegation im Oktober Europa besucht.

In Paris wurde die Gruppe vom Generalsekretär der ICC, Guy Sebban, empfangen. Sebban wies darauf hin, dass der offizielle Repräsentant Chinas in der ICC nach wie vor nicht die innerchinesische Kammerorganisation ist, sondern die halbstaatliche Aussenhandelskammer CCPIT. ICC sei mit dieser Lösung nicht sehr glücklich, zur Zeit des Beitritts Chinas zur ICC habe es aber keine andere Möglichkeit gegeben. Er ermutigte die seit kurzem in China entstehenden, weitgehend regierungsunabhängigen Branchenkammern, sich an ICC und der World Chambers Federation WCF aktiv zu beteiligen.

Internationale Handelskammer in Paris

Internationale Handelskammer in Paris

 

IHK Köln

IHK Köln

SEQUA in Bonn

SEQUA in Bonn

© Fotos: Helmut Schönleber

Delegations-Vorbereitung

Zur Vorbereitung einer Unternehmer-Delegation der Automobilbranche hat die Anhui General Chamber of Commerce am 14.10.2005 einen Workshop mit allen Delegations-Teilnehmern durchgeführt. Die Delegation wird von SEQUA im deutsch-chinesischen KMU-Förderprogramm organisiert. Langzeit-Experte Helmut Schönleber hielt eine Präsentation über interkulturelle Geschäftskontakte.

Interkulturelle Vorbereitung

Interkulturelle Vorbereitung

© Foto: Han Xiaohong

Projektprüfung für GTZ

Im Auftrag der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) hat der unabhängige Gutachter Martin Godau eine Projektprüfung in Peking und Hefei (Provinz Anhui) durchgeführt. Von 10. bis 12.10.2005 hat er das KMU-Amt der Provinz, die Anhui General Chamber of Commerce, das deutsch-chinesische Projektbüro der Provinzregierung sowie weitere beteiligte Organisationen zum Projektfortschritt befragt. Weitere Teilnehmer der Gutachter-Mission waren Dr. Jürgen Steiger (GTZ), Alexandra Voss (SEQUA), Meng Xunzhi (GTZ) und Helmut Schönleber (SEQUA).

TCM für Europa

Bei einem Besuch des deutschen Kurzzeit-Experten Martin Proba bei der Firma Huawei Pharmaceuticals in Hefei wurden Möglichkeiten diskutiert, die Produkte der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) von Huawei in Europa zu vermarkten. Proba bot seine Unterstützung im Genehmigungsverfahren bei den zuständigen Behörden an.

Reinraum bei Huawei

Reinraum bei Huawei. Martin Proba (r) mit der Geschäftsführerin Li Guihua (m)

© Foto: Helmut Schönleber

Pharma Firmenbesuch

Auf Einladung der Inhaberin und Geschäftsführerin, Li Guihua, hat die Provinzkammer Anhui am 06.07.2005 einen Firmenbesuch bei der Firma Huawei organisiert. Huawei ist ein mittelständisches Unternehmen der pharmazeutischen und medizintechnischen Industrie, das sich stark in der Kammerarbeit engagiert.

Firmenbesuch

Firmenbesuch

© Foto: Han Xiaohong

Der „dritte Weg“ der Industrie- und Handelskammern in China

Beitrag in „Strukturwandel in den deutsch-chinesischen Beziehungen“, Margot Schüller (Hrsg.), Institut für Asienkunde 2003

Seit der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) im Herbst 1996 das Partnerschaftsprojekt mit dem Dachverband der chinesischen Industrie- und Handelskammern (ACFIC) begann, ist in China viel geschehen. In sechseinhalb Jahren als Projektleiter China des DIHK mit Sitz in Peking konnte ich einige bedeutsame Ereignisse und ihre Auswirkungen miterleben: Ableben von Deng Xiaoping, Eingliederung von Hongkong und Macao, Verankerung der Existenzberechtigung von Privatunternehmen in der Verfassung, 50. Jahrestag der Gründung der VR China, Gründung des Delegiertenbüros der deutschen Wirtschaft in Peking und der Deutschen Auslandshandelskammer in China, zwei Parteitage mit Wechseln in der Führungsspitze des Landes, die erste Privatwirtschaftsmesse Chinas und natürlich die Wahl Pekings als Ausrichter der Olympiade 2008.

Am Todestag des „Vaters der sozialistischen Marktwirtschaft“, Deng Xiaoping, begleitete ich gerade eine Delegation unseres chinesischen Projektpartners in Deutschland. Chinesischer Delegationsleiter war Zhang Xuwu, damals geschäftsführender Vizepräsident von ACFIC mit Ministerrang, zugleich Vizepräsident des Rechtsausschusses und Mitglied des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses. Die Nachricht vom Tode Dengs hörte ich am Abend im Hotelzimmer in der Tagesschau. Ich war bestürzt und zögerte etwas, unserer Delegation die Information zu überbringen. Einerseits überbringt niemand gerne schlechte Nachrichten, andererseits befürchtete ich, dass Zhang aufgrund seines hohen Ranges kurzfristig nach China zurückbeordert und die Delegationsreise abbrechen würde. Das Projekt war in seiner Anfangsphase und ich kannte Zhang noch nicht besonders gut. Daher sprach ich zuerst mit seinem persönlichen Sekretär, der mir nach zehn Schweigesekunden versicherte, dass diese Nachricht aufgrund der langen Krankheit Dengs für Zhang keine große Überraschung sein würde. Dann sprach ich mit Zhang selbst und schließlich mit der ganzen Delegation.

Ich hatte mit distanzierter Betroffenheit gerechnet, nicht aber mit so starker persönlicher Trauer. Zhang bemühte sich vergeblich, vor mir, dem Ausländer, seine Gefühle zu verbergen. Erst später verstand ich den Grund seiner Erschütterung: Zhang ist Enkel eines berühmten Kapitalisten aus der Qing-Dynastie, und gehört damit der Spitze einer gesellschaftlichen Gruppe an, die erst seit dem Aufstieg Deng Xiaopings Ende der siebziger Jahre aus dem völligen Abseits langsam in das Zentrum der Gesellschaft zurückgeholt wird.

Noch viel später erzählte mir Zhang auch, dass er Deng nicht nur persönlich gut gekannt hatte, sondern ihn als den Mann verehrte, dem China neue Hoffnung und neuen Fortschritt verdankt. Im Laufe der Projektarbeit in China lernte ich noch viele Söhne und Töchter „alter Kapitalisten“ kennen, die nach den Erfahrungen der Kulturrevolution allesamt ebenso dankbar über Dengs Wirtschaftsreformen und die sich ändernde Politik der Partei gegenüber dem Privatunternehmertum empfinden.

Bei unseren Projekt-Workshops, -Delegationsreisen, -Beratungsgesprächen und vielen Besuchen lernte ich noch mehr „neue Kapitalisten“ kennen – insgesamt über 1000 Privatunternehmer und damit sicher mehr, als die meisten anderen Ausländer in China zu der Zeit kennen gelernt haben. Fast alle anderen ausländischen Unternehmen, Organisationen und Projekte in China entdeckten dagegen ein Interesse an der chinesischen Privatwirtschaft erst zu Beginn des neuen Jahrtausends und damit mehrere Jahre später als der DIHK. Das war allerdings kaum verwunderlich, denn zum Zeitpunkt der ersten Projektüberlegungen des DIHK im Jahr 1994 gab es erst 400.000 Privatunternehmen in ganz China, Ende 2001 schon über zwei Millionen. Die Entwicklung der Kleingewerbebetriebe war noch rasanter.

Die neuen, jungen Privatunternehmer und Kleingewerbetreibenden sind weniger von Dankbarkeit gegenüber der ihnen gewogeneren, neuen Parteilinie geprägt als von dem Anliegen, ihren wirtschaftlichen Erfolg endlich in gesellschaftliche Anerkennung und in eine angemessene Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen umzusetzen. Der neu entstandene Mittelstand in China fordert seine Rechte, und nirgends kann der Staat es sich langfristig leisten, dem Mittelstand seine Rechte zu verweigern. Das bisher einzige institutionalisierte Instrument in China zur Teilnahme von Privatunternehmern an Politik und Legislative sind aber die Industrie- und Handelskammern.

In fast allen Ländern der Welt gibt es Wirtschaftsorganisationen, die branchenübergreifend, aber meist regional begrenzt die Interessen der privaten Wirtschaft gegenüber Regierung und Öffentlichkeit vertreten. Anders als Branchenverbände mit ihrem sehr fachspezifischen Know-how besitzen sie primäre Kompetenz, wenn es um Fragen der (privaten) Gesamtwirtschaft des Landes oder der Region geht. In Deutschland sind dies vor allem die Industrie- und Handelskammern (IHK), in China die Federations of Industry and Commerce (FIC).

In unserem Projekt bezeichnen wir die FIC auf Deutsch auch als Industrie- und Handelskammern, Sinologen würden den chinesische Begriff lieber als „Bund für Industrie und Handel“ übersetzen. Oberflächlich betrachtet sind die FIC nur eine relativ unbedeutende Organisation in einem nahezu undurchschaubaren Dickicht chinesischer Wirtschaftsverbände, von denen die meisten aus einer Behörde entstanden sind. Die faktischen Befugnisse der FIC sind eher begrenzt: sie stellen keine Ursprungszeugnisse aus, führen keine Prüfungen für Industriekaufleute durch und Vermitteln nur ausnahmsweise bei Handelsstreitigkeiten. Aber im Unterschied zu allen anderen Wirtschaftsverbänden in China unterstehen die FIC nicht der unmittelbaren Kontrolle eines Ministeriums der Staatsregierung. Anders als alle anderen sind sie auch nicht beim für Verbände zuständigen Zivilministerium registriert, sondern beziehen ihre Legitimierung aus einem gesonderten Erlass. Es handelt sich um die Nachfolgeorganisation der Chambers of Commerce, von denen einige bereits in der Qing-Dynastie nach westlichem Vorbild gegründet worden waren.

Fast alle Länder der Welt organisieren ihre IHK entweder nach dem angelsächsischen System (A) mit freiwilliger Mitgliedschaft oder aber nach dem kontinentaleuropäischen System (B) mit automatischer, gesetzlich verankerter Mitgliedschaft. In beiden Systemen finanzieren sich die Industrie- und Handelskammern aus Mitgliedsbeiträgen und Dienstleistungsentgelten. China geht wie so oft einen anderen Weg (C): Freiwillige Mitgliedschaft wie A, dabei vorsichtige Selektion unter möglichen Kandidaten, Finanzierung jedoch nur zu einem minimalen Teil durch Mitgliedsbeiträge und Gebühren, sondern ganz überwiegend aus dem Staatshaushalt.

Bei einer Finanzierung aus dem Staatshaushalt ist die Frage mehr als berechtigt, ob eine solche Organisation überhaupt die Interessen der Unternehmen der Regierung und der Öffentlichkeit gegenüber wirksam vertreten kann und damit der obigen Definition einer IHK entspricht. Selbst unter den Führungskräften der chinesischen FIC-Organisation gibt es eine Mindermeinung, nach der die Organisation international eher einem Arbeitgeberverband als einer Industrie- und Handelskammer vergleichbar ist. Obwohl ich Anhänger dieser Mindermeinung persönlich durchaus schätze, teile ich diese Ansicht nicht.

Aus dem Staatshaushalt werden in erster Linie die Personalkosten der chinesischen FIC bestritten: die hauptamtlichen Mitarbeiter sind Beamte mit den üblichen Vergütungen und Vergünstigungen. In der Beamten-Hierarchie sind die FIC-Mitarbeiter relativ hoch angesiedelt. Ein normaler Referatsleiter bei der nationalen Dachorganisation ACFIC entspricht im Rang dem Gouverneur eines Kreises (Landrat). Der Präsident von ACFIC gilt als Mitglied der Führungsspitze Chinas, ist also noch einen Rang höher als ein Minister, außerdem hat ACFIC mindestens zwei hauptamtliche Vizepräsidenten im Rang eines Ministers. ACFIC ist damit ranghöher als jedes Ministerium des Staatsrats. Pro Ebene um einen Rang niedriger gilt diese Regelung auch für die FIC der Provinzen, Präfekturen und Kreise.

Der hohe Rang der Organisation entspricht allerdings in keiner Weise den tatsächlich minimalen Entscheidungsbefugnissen ihrer Beamten. Während in einer abgelegenen Provinz der Gouverneur eines Kreises mit der Fläche und Bevölkerung eines deutschen Bundeslandes fast wie ein feudaler Fürst herrschen kann, leitet ein ACFIC-Referatsleiter außer seinen direkten Mitarbeitern nur ein sehr geringes Budget. Er hat kaum unmittelbare Befugnisse, die für Privatunternehmer oder andere Mitglieder der Organisation interessant oder nützlich sein könnten.

Es gibt allerdings zwei wichtige Ausnahmen, nämlich erstens in der Mitgliederabteilung das „Referat für die Nominierung von repräsentativen Persönlichkeiten der nicht in Allgemeineigentum befindlichen Unternehmen“. Dieses Referat schlägt dem Präsidium einige Mitgliedsunternehmer zur Nominierung für die regionalen Legislativorgane – Volkskongresse und Politische Konsultativkonferenzen – der jeweiligen Ebene vor. In den Legislativorganen sind bestimmte Kontingente an Sitzen für Nominierte der FIC festgelegt.

Aus den Vorschlägen des Referats der Mitgliederabteilung sucht das Präsidium der FIC dann einige Personen aus und leitet die modifizierte Nominierungsliste weiter an das entsprechende Referat der Einheitsfrontabteilung des jeweiligen Parteikomitees, das wiederum nach Rücksprache mit der Personalabteilung und gegebenenfalls mit der Organisationsabteilung des Parteikomitees ihre modifizierte Empfehlung an das Parteisekretariat weitergibt, das die endgültige Entscheidung über die Zusammensetzung des FIC-Kontingents in Volkskongressen und Politischen Konsultativkonferenzen trifft.

Grundsätzlich ist die Einheitsfrontabteilung der Partei das für die chinesischen Industrie- und Handelskammern zuständige Kontrollgremium. Diese Abteilung kontrolliert auch die Kirchen, die nicht-kommunistischen Parteien Chinas, und generell alle Organisationen, die aus ihrem Selbstverständnis nicht ohne weiteres als sozialistisch gelten können. Sie genehmigt die Budgets und die hauptamtlichen Personalstellen dieser Organisationen und sorgt so dafür, dass allzu unliebsame Abweichungen von der Parteipolitik auch in diesen Organisationen weitgehend vermieden werden. Auf der anderen Seite ermöglicht sie den Mitgliedern dieser Organisationen eine sonst schwer erreichbare Mitsprache oder zumindest ein Anhörungsrecht in den Legislativorganen.

Für viele Privatunternehmer ist diese Funktion der chinesischen FIC der entscheidende Grund, sich für eine Mitgliedschaft zu interessieren, und nicht nur, weil ein entsprechender Titel auf der Visitenkarte den Kunden gegenüber gut wirkt. Man lernt wichtige Leute kennen, erhält privilegierte Informationen, aber vor allem kann ein Sitz im Volkskongress gelegentlich für die Durchsetzung politischer und geschäftlicher Interessen sehr nützlich sein.

Zweite Ausnahme, wenn auch nicht ganz so wichtig wie das Nominierungsreferat, sind die für Eingaben an die Legislativorgane zuständigen Mitarbeiter, die je nach Größe der FIC entweder zur Rechtsabteilung oder zur Wirtschaftsabteilung gehören. Sie erstellen Texte für Gesetzentwürfe oder Änderungsvorschläge, die von den FIC-nominierten Delegierten der Legislativorgane an das jeweilige Plenum oder den Ständigen Ausschuss zur Beratung eingereicht werden können. Nicht zuletzt durch eine solche Eingabe kam die Verfassungsänderung 1999 zustande, mit der die Existenzberechtigung der Privatwirtschaft in der sozialistischen Marktwirtschaft endgültig festgeschrieben wurde, freilich erst nach ausgiebigen Verhandlungen mit den Parteigremien und vorheriger Zustimmung durch den Parteitag.

Eingaben der ACFIC-nominierten Delegierten zur Feingestaltung des Gesetzes über Einzelunternehmen, des Gesetzes zur Förderung Kleiner und Mittlerer Unternehmen und einer auf Vermeidung der doppelten Gewinn-Besteuerung beim Unternehmen und seinem Eigentümer gerichteten Änderung des Einkommensteuergesetzes waren dagegen nur beschränkt erfolgreich. Gegen die anderslautenden Vorschläge der seinerzeit mächtigsten Ministerien konnten nur Kompromisse erreicht werden.

Aus der privatwirtschaftsfeindlichen Politik dieser Ministerien hat der Nationale Volkskongress allerdings bei der Plenarsitzung im März 2003 bereits Konsequenzen gezogen: die Wirtschafts- und Handelskommission SETC und das Außenhandelsministerium MOFTEC wurden aufgelöst, ihre Abteilungen auf mehrere andere Ministerien und Kommissionen aufgeteilt und so ihre zuvor konzentrierte Autorität weitgehend entkräftet.

Wo früher nur Kompromisse erzielt wurden, können die Interessen der Privatwirtschaft heute mehr und mehr durchgesetzt werden – nicht zuletzt durch den Einfluss der Kammern. Eine Interessenvertretung der privaten Gesamtwirtschaft ihrer Region können die chinesischen FIC also institutionell gewährleisten, auch wenn sie auf staatliche Finanzierung und das Wohlwollen der Einheitsfrontabteilungen der jeweiligen Parteikomitees bisher noch angewiesen sind. Es handelt sich daher um Industrie- und Handelskammern auch im internationalen Verständnis.

Als Aufgabengebiet einer Industrie- und Handelskammer ist ein nachfrageorientiertes Dienstleistungsangebot für die Unternehmen nahezu ebenso wichtig wie die politische Interessenvertretung. Dadurch, dass die FIC ihre Kräfte dem Staatsaufbau China entsprechend auf insgesamt über 3000 Kammern auf Provinz-, Präfektur- und Kreisebene zersplittern, ist ihre Dienstleistungsfähigkeit gegenüber anderen Organisationen relativ schwach. Eine typische Kreiskammer mit drei oder vier hauptamtlichen Mitarbeitern ist kaum in der Lage, ihren Mitgliedern Dienstleistungen hoher Qualität anzubieten. Mehr als einen Ansprechpartner vor Ort können sie kaum leisten, dies aber immerhin nahezu flächendeckend.

So lange die privatwirtschaftsfreundliche Fraktion in der Parteispitze die Mehrheit behält, wird die Bedeutung der FIC in China aber sicher noch weiter steigen. Hu Jintao, der seit dem Parteitag 2002 amtierende Vorsitzende des Ständigen Ausschusses des Politbüros des Zentralkomitees, hat kurz nach seinem Amtsantritt bereits ein wichtiges Signal gesetzt: als erster oberster Machthaber Chinas seit 1949 hat er ACFIC einen Besuch abgestattet. Alle anderen Parteichefs seit Mao hatten bestenfalls die ACFIC-Präsidenten bei sich empfangen.

Auch die Auflösung der beiden mächtigen Wirtschaftsministerien, die bei der jüngsten Sitzung des Volkskongresses beschlossen wurde, stärkt die Position von ACFIC. Die Wirtschafts- und Handelskommission war mit ihren Branchenverbänden ein Gegenspieler, der sich einer freieren Entwicklung der Privatwirtschaft stets massiv widersetzt hatte, und das Ministerium für Außenhandel war durch seine als Verband organisierte Handelsförderungsorganisation CCPIT ein mächtiger Rivale. CCPIT hatte es sogar geschafft, mit ihrem Neben-Titel „China International Chamber of Commerce“ in die Internationale Handelskammer ICC aufgenommen zu werden. Zu MOFTEC gehörten außerdem viele branchenspezifische „Chambers of international Commerce“. Ob und wie sich diese Verbände nach den jüngsten Beschlüssen weiterentwickeln, bleibt abzuwarten.

An der Stärkung der chinesischen Industrie- und Handelskammern, die sich nun in den Entscheidungen des Volkskongresses zeigt, war und ist der Deutsche Industrie- und Handelskammertag nicht ganz unbeteiligt. Mit finanzieller Förderung durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) und die Stiftung für wirtschaftliche Entwicklung und berufliche Qualifizierung (SEQUA) hat unser Partnerschaftsprojekt mit ACFIC und zehn regionalen FIC in den bisher sechseinhalb Jahren intensiver Zusammenarbeit vor allem ein neues Dienstleistungsbewusstsein gegenüber den Mitgliedsunternehmen und eine neue Arbeitseinstellung bei einigen der Schwerpunktpartner erreicht – sowohl auf der Führungs- wie auch auf der Arbeitsebene. Dadurch haben die chinesischen Kammern vor allem unter ihren Mitgliedern beträchtlich an Ansehen gewonnen.

Seit 1996 haben über 3300 Personen an unseren Projektaktivitäten teilgenommen, darunter 1400 Privatunternehmer und 1500 FIC-Mitarbeiter und -Führungskräfte, außerdem Politiker, Wissenschaftler und Medienvertreter. Selbst in einem riesigen Land wie China war dies mehr als nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Dass wir bei unserer Arbeit gelegentlich auch Aufträge chinesischer Privatunternehmer an die deutsche Wirtschaft vermitteln konnten, war nicht unser unmittelbares Ziel, sondern ein erfreulicher Nebeneffekt.

Bei unserer Projektarbeit haben wir bewusst auf eine reine Lehrtätigkeit verzichtet und stattdessen moderne Methoden der Kammerarbeit in den einzelnen Aktivitäten des Projektes engagiert „vorgelebt“. In die Workshops und Seminare zur Unternehmensführung haben wir Elemente eingebaut, die in China weithin unbekannt waren wie Rollenspiele, moderierte Plenums- und Podiumsdiskussionen, Arbeitsgruppen mit Metaplantechnik und Unternehmensplanspiele. Selbst die in China sonst schulisch frontale Sitzordnung haben wir in U- oder V-Form aufgelockert. Vor Delegationsbesuchen von Privatunternehmern in Deutschland haben wir an Stelle der sonst üblichen Auswahl nach regionalen Quoten oder persönlicher Bekanntschaft eine sorgfältige und möglichst objektive Auswahl der Teilnehmer durchgeführt, die sich an der Realisierbarkeit der geschäftlichen Anliegen orientiert. Dabei haben wir unseren Partnern nie empfohlen, ihre Arbeit außerhalb des Projektes ebenso zu organisieren, sondern sie nur an allen Schritten unserer Organisationsarbeit teilhaben lassen. So haben wir erreicht, dass unsere Partner aus der Zusammenarbeit „eigene“ neue Ideen entwickeln konnten, anstatt nur Anleitungen „aus dem Ausland“ nachzuahmen.

Inzwischen haben unsere Partner eine Vielzahl neuer Arbeitsweisen übernommen. Bei Präsidiumssitzungen wird die Metaplantechnik zur Entscheidungsfindung eingesetzt. Die elektronische Datenverarbeitung, Nutzung von Mitgliederdatenbanken, und das Internet haben in der chinesischen Kammerarbeit Einzug gehalten – von uns mit Ausrüstung, Software und Schulungen unterstützt. Die Web-Seiten von ACFIC, auf den von uns gelieferten Servern gepflegt, sind tagesaktuell, die Mitgliederdatenbank ist in Bezug auf ihre Zweisprachigkeit internationaler ausgerichtet als unsere deutsche IHK-Datenbank. Workshops für Mitgliedsunternehmer werden vermehrt auf Grund von Bedarfsanalysen angeboten und nicht mehr nur nach politischen Erfordernissen. Selbst bei der Auswahl von Teilnehmern an Delegationsreisen hat ACFIC unsere Methode übernommen.

Die Partnerschaft war aber nicht einseitig. Auch wir haben aus der Zusammenarbeit viele neue Ideen mitgebracht, die wir vielleicht bald als unsere „eigenen“ bei der Arbeit der deutschen Industrie- und Handelskammern anwenden können. Denn auch die deutsche Kammerorganisation mit ihrem vergleichsweise bequemen System der automatischen Mitgliedschaft steht unter großem Druck, effizienter, kundenorientierter und unbürokratischer zu arbeiten. Auch in Deutschland müssen IHK und DIHK besser werden, und viele neue Herausforderungen sind denen der FIC in China ganz ähnlich.

Helmut Schönleber

Kreativität braucht Freiraum

Die sehr hohen Wachstumsraten der chinesischen Privatwirtschaft haben diesen noch relativ jungen Sektor zu einem wesentlichen Stabilitätsfaktor und zum Motor der Wirtschaftsentwicklung des Landes gemacht. Staat und Partei setzen darauf, dass die Privatunternehmen freigesetzte Mitarbeiter aus restrukturierten Staatsunternehmen und reduzierten Behörden absorbieren. Die Goldgräberzeiten nähern sich jedoch dem Ende, der Wettbewerb ist wesentlich schärfer geworden. Nach dem WTO-Beitritt sind weitere, noch leistungsfähigere Konkurrenten auf den Inlandsmarkt getreten.

Kapital, Bruttowertschöpfung, Umsatz

Kapital, Bruttowertschöpfung, Umsatz

In der Gründerzeit Mitte der achtziger bis Ende der neunziger Jahre bestand die größte Herausforderung für Privatunternehmen darin, sich gegen behördliche Diskriminierung zu behaupten. Ein typischer Unternehmer war dann erfolgreich, wenn er durch gut gepflegte persönliche Beziehungen die eigentlich widerwilligen Beamten dazu veranlassen konnte, ihren hohen Ermessensspielraum in seinem Sinne auszuschöpfen: er erhielt regelmäßig Aufträge von den staatlichen Großkunden; er konnte ohne formale Außenhandelsgenehmigung im- und exportieren; er zahlte keine oder nur geringe Steuern; er konnte bei staatlichen Banken Kredite aufnehmen, obwohl diese noch gar keine Prozeduren für Kreditwürdigkeitsprüfungen entwickelt hatten; er erhielt Ausnahmegenehmigungen für eigentlich der Privatwirtschaft verschlossene Wirtschaftsaktivitäten. Wie er aber seinen Betrieb führte, war nicht so wichtig.

Heute ist die Privatwirtschaft nahezu gleichberechtigt, zumindest auf höchster politischer Ebene. Die mittleren Beamten haben weniger Ermessensspielraum, die Regeln sind klarer und objektiver geworden. Gegen Vorteilsannahme wird härter vorgegangen. Gute Beziehungen allein reichen heute nicht mehr aus. Ein Privatunternehmer ist heute erfolgreich, wenn er gutes Personal und eine moderne Produktionstechnik hat, mit Produkten und Service die Wünsche der Kunden erfüllt, und wenn sein Betrieb effizient wirtschaftet. Denn heute müssen sich die Privatunternehmen primär nicht mehr gegen die staatliche Bürokratie, sondern gegen einander behaupten.

Mit der Umorientierung haben weitsichtige Privatunternehmen schon vor Jahren begonnen. Einigen hat die Kooperation mit ausländischen Partnern dabei geholfen. Nun entwickelt sich daraus ein Trend, der langsam den breiten Mittelstand erfasst: der Fokus wandelt sich von außen nach innen, von den Rahmenbedingungen auf den eigenen Betrieb, von offensichtlichen Problemen auf verhüllte. Noch immer fehlen Kapital, moderne Technologie, Managementwissen, Auslandskontakt, Fachpersonal. Aber immer mehr Unternehmer erkennen die geringe Arbeitssorgfalt bei sich selbst und den Mitarbeitern als Problem, immer mehr bemerken die eigene Kreativitätsschwäche.

Ein Mangel an Kreativität im Unternehmen kann viele Ursachen haben. Die meisten davon plagen Unternehmen weltweit, aber es gibt auch einige „chinesische Besonderheiten“. Kreative Menschen brauchen Freiraum. Sie brauchen eine Umwelt, die sie nicht ablehnt, sondern fördert, wenn sie etwas anders machen als alle anderen vorher. Die konfuzianische Tradition mit ihrem strengen Hierarchiesystem steht dem entgegen: was der Vorgesetzte oder der ältere Bruder sagt, ist kritiklos und möglichst ohne eigene Gedanken zu akzeptieren. Auch wurden in der jüngeren politischen Geschichte kurze Phasen der Toleranz gegenüber Kreativität und Vielfalt immer wieder von Phasen der Ausrichtung auf gesellschaftlich konformes Verhalten abgelöst. Zwei Generationen haben intensiv erlebt, dass Kreativität keine nützliche Charaktereigenschaft ist. Die Talente der vielen potentiell kreativen Menschen in China wurden nicht gerade ermutigt.

Die relative Kreativitätsschwäche chinesischer Unternehmen ist der Hauptgrund für die geringe Durchsetzbarkeit von Urheberschutzrechten, für plötzliches Überangebot auf einzelnen Märkten (nachdem ein Unternehmen ein erfolgreiches Produkt herausgebracht hat, das dann sehr schnell von vielen anderen Unternehmen kopiert wird), und für das große Misstrauen, das Unternehmer der selben Branche und Region einander entgegenbringen.

Auch den meisten chinesischen Privatunternehmern fällt es schwer, kreative Menschen zu akzeptieren. Sie sind stolz darauf, im eigenen Betrieb das letzte Wort zu haben, und dulden nur zögernd andere Meinungen. Gute Ideen nehmen sie zwar gerne auf, aber nur wenige waren bisher bereit, im eigenen Unternehmen ein Klima zu fördern, das gute Ideen hervorbringt. Viel lieber schauen sie auf neue Ideen aus dem Ausland. Sie sind aber echte, gewinnorientierte Unternehmer, die daran gewöhnt sind, Probleme anzupacken und zu lösen, wenn sie nur erst einmal erkannt sind.

Mit dem Trend zur Konzentration auf die Lösung innerbetrieblicher Schwächen wird auch der Kreativität langsam mehr Freiraum gegeben. Wege zur Förderung der Kreativität müssen aber noch gefunden, entwickelt und umgesetzt werden. Auch dabei schauen die mittelständischen Unternehmer und die sie vertretenden Wirtschaftsverbände und Industrie- und Handelskammern zunächst auf Ideen und Methoden aus dem westlichen Ausland.

Artikel von Helmut Schönleber in „China Contact“ 12/2001