Anteil am BIP wird bald 50% erreichen
Die erst Mitte der achtziger Jahre zögerlich legalisierte Privatwirtschaft hat sich bis heute zur Hauptantriebskraft der Wirtschaft Chinas entwickelt. Der Dachverband der chinesischen Handelskammern erwartet, dass sie im Jahr 2006 erstmals mehr als die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes (BIP) erwirtschaften wird. Zum Jahresende 2005 lag ihr Anteil bei 49,7 Prozent.
Der Bund für Industrie und Handel (All-China Federation of Industry and Commerce) unterscheidet in seinem Ende September 2006 veröffentlichten „Weissbuch 2006 zur Entwicklung der Privatwirtschaft“ vorsichtig zwischen verschiedenen Definitionen. Danach besteht die „Privatwirtschaft im engeren Sinne“ nur aus Betrieben, die bei den Registrierungsbehörden als Privatunternehmen oder Kleingewerbe angemeldet sind. „Inländische Privatwirtschaft“ schließt zusätzlich gemischte Unternehmen mit staatlichen, kollektiven und privaten Anteilen ein, sofern der Staat keine kontrollierende Mehrheit besitzt. „Privatwirtschaft im weiteren Sinne“ berücksichtigt ausserdem alle ausländisch investierten Unternehmen. Der erwartete Anteil von 50 Prozent am BIP bezieht sich auf die „inländische Privatwirtschaft“.
An den gesamten Bruttoanlageinvestitionen des Landes hat die Privatwirtschaft laut Weissbuch schon 2005 einen Anteil von 60,0 Prozent erreicht. Staatliche Unternehmen trugen nur 30,6 Prozent bei, ausländische Unternehmen 9,4 Prozent.
Besonders erstaunlich ist die Entwicklung der „Privatwirtschaft im engeren Sinne“ in den vergangenen knapp dreißig Jahren. Schon im ersten Jahr der Wirtschaftsreform Chinas, 1978, waren laut amtlicher Statistik landesweit 140.000 Menschen im Kleingewerbe tätig. Die ersten Kleingewerbebetriebe wurden 1981 bei den neu aufgebauten Gewerbeämtern („Verwaltungsbehörden für Industrie und Handel“) registriert und seither statistisch erfasst. Aus den 1,8 Millionen Betrieben sind bis Jahresende 2005 knapp 25 Millionen geworden.
Kleingewerbebetriebe durften damals wie heute nur bis zu sieben Mitarbeiter beschäftigen, meist Familienangehörige. Wollten sie größer werden, blieb ihnen nur der Weg an den Rand der Legalität: sie liessen sich als Zweigfirmen staatlicher oder kollektiver Unternehmen registrieren und wurden dadurch zu Unternehmen „mit einer roten Mütze“. Mit Verabschiedung eines neuen Gesetzes über Privatunternehmen und eines GmbH-Gesetzes wurde aber seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre auch die privatwirtschaftliche Tätigkeit größeren Umfangs erlaubt.
1989 verzeichneten die Gewerbeämter 91.000 Privatunternehmen mit acht oder mehr Beschäftigten, zum Jahresende 2005 sind daraus 4,3 Millionen geworden. Noch beeindruckender sind aber die Wachstumsraten der Privatunternehmen und Kleingewerbebetriebe beim Einzelhandelsumsatz. Die Aufzeichnungen der Gewerbeämter beginnen im Jahr 1987 mit einem landesweiten Umsatzvolumen der Privatbetriebe von 74,4 Milliarden Renminbi. In den 18 Jahren bis 2005 erreichten sie das 26fache, nämlich 1,9 Billionen RMB.
Dass sich die Privatwirtschaft in einem sonst streng sozialistischen System so eindrucksvoll durchsetzen konnte, ist aus politischer Sicht vor allem auf ihren Beitrag zur Lösung der Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Aus den 140.000 Beschäftigten in Chinas Privatwirtschaft von 1978 sind bis 2005 schon über 107 Millionen geworden. Einen so mächtigen Mittelstand können Staat und Partei nicht mehr behindern, sondern nur noch fördern.
H. Schönleber in China Contact 12/2006